Institut für Elebnispädagogik
 
Silke Straatman

‘Nikolaus Kopernikus’ — Ein Forschungsschiff setzt Maßstäbe
I.
Wissenschaft auf einem Schiff zu betreiben, ist eine besondere Herausforderung an die Ausübenden. Auf engstem Raum ohne Möglichkeiten des Ausweichens ist jeder dazu aufgefordert, sich den Fragen und Problemen verschiedener Wissenschaftsbereiche zu stellen. Das Milieu ist hier im Wesentlichen geprägt durch Kommunikation, durch den Dialog der Mitglieder der ständig wechselnden wissenschaftlichen Gemeinschaft verschiedener Nationalitäten. Denn Wissenschaft ist nicht ein isoliertes Phänomen. Man kann von ”Wissenschaft im Dialog” sprechen und dabei die interdisziplinäre Forschung und das Prozesshafte in den Vordergrund rücken.
”Alles ist im Fluss” (Heraklit, 500 v. Chr.), in der Kontinuität des ewigen Wechsels begriffen – welcher Ort kann dieses besser symbolisieren als ein Schiff auf dem Meer.
Diesem Schiff den Namen eines bedeutenden Astronomen zu geben, ist folgerichtig und soll auf die Bedeutung der Wissenschaft für die Menschheit und speziell auch auf die Bedeutung der Astronomie für die Seefahrt hinweisen.
Astronomische Kenntnisse und die Orientierung nach den Sternen waren für die Seefahrt lebensnotwendig und für den Erfolg großer Seereisen unentbehrlich.
Was hätten die früheren Abenteurer und großen Entdecker der Welt ohne Kenntnisse der Astronomie gemacht ? So basierten die Theorien Heinrich des Seefahrers (1394 – 1460) auf der Wissenschaft der Astronomie. In seiner ”Navigationsschule von Sagres” erhielten die Kapitäne eine entsprechende Ausbildung, um die Position ihrer Schiffe nach Sonne und Sternen zu bestimmen, denn das war die Grundvoraussetzung, um aus der damals völlig unbekannten ”dunklen See” zurückfinden zu können. Etliche europäische Kapazitäten kamen von weither angereist, um die portugiesische Navigationsschule zu besuchen. Unter ihnen war auch Christoph Kolumbus (1451 – 1506), der sich dort die nautischen Kenntnisse seiner Zeit aneignete und von der Kugelgestalt der Erde überzeugt war, sowie Martin Behaim (1459 – 1506) aus Nürnberg, von dem der älteste erhaltene Erd-Globus (1492) stammt.
Das Schiffsprojekt ”Nikolaus Kopernikus” soll eine neue Herangehensweise an Wissenschaft in Gang setzten, eine verbesserte Form der Kommunikation unter Wissenschaftlern schaffen, was vielleicht nicht einer Revolution, aber einer Restauration der so stark getrennten Fachwissenschaften bedeuten kann. Das Ziel ist es, durch den kritischen Diskurs an einem reizvollen Ort, der per se Konzentration fordert, neue Erkenntnisse zu gewinnen, die komplexere Sichtweisen innerhalb der Wissenschaften nach sich ziehen sollen.
II.
Deshalb wurde für die Namensgebung des Schiffes der berühmte Astronom und Universalgelehrte Nikolaus Kopernikus gewählt, denn er war es, der die Wissenschaft mit seinem heliozentrischen Weltbild revolutionierte. Der Begriff "Kopernikanische Wende" bezeichnet bis heute den Wandel eines Weltbildes, der bedeutende Veränderungen in der Wissenschaft zur Folge hat.
Im Geiste der Wissenschaft erzogen, widmete sich Nikolaus Kopernikus ihr grenzenlos. Er lebte in einem Zeitalter, in dem das Studium an einer Universität als ”Studium generale” viele wissenschaftliche Fachgebiete umfasste. Er war ein ”Wanderer”, der die Grenzen überschritt: Kultur, Glaube, Nationen, Politik.
Mit seinen revolutionären Forschungen war Nikolaus Kopernikus seiner Zeit weit voraus. Man kann ihn als großen Europäer bezeichnen, denn er lässt sich nicht nach den national geprägten Vorstellungen des 19. und 20. Jahrhunderts einordnen. Dieses entspricht auch unserem zukünftigen Europagedanken. Auf dem Schiff sollen Wissenschaftler – zunächst aus ganz Europa, später auch aus anderen Kontinenten – zusammentreffen und sich austauschen können.
III.
Am 19. Februar 1473 in Thorn geboren, studierte Nikolaus Kopernikus in Krakau, Bologna, Padua, Rom und Ferrara Rechtswissenschaften, alte Sprachen, Medizin sowie Astronomie. 1506 wurde er Leibarzt und Privatsekretär seines Onkels Lukas Watzenrode, dem Bischof von Ermland, in Heilsberg.
Seit 1512 war Kopernikus Domherr in Frauenburg. Sein Lebensziel, die Rätsel des Himmels zu beleuchten, und seine astronomischen Studien führten ihn früh zu der Überzeugung, dass die Sonne den Mittelpunkt der kreisförmigen Planetenbahnen bildet und dass auch die Erde um sie kreist (kopernikanisches oder heliozentrisches Weltsystem).
Die zu jener Zeit in Europa anerkannte Kosmologie war im zweiten Jahrhundert von dem ägyptischen Astronomen und Geographen Claudius Ptolemaios formuliert worden. Dieses Modell sieht die Erde als Zentrum, um das Sonne, Mond und Sterne kreisen (geozentrisches Weltbild).
Die kopernikanische Wende vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild ermöglichte die Entwicklung der neuzeitlichen Physik und Astronomie. Nikolaus Kopernikus` Theorien revolutionierten die Art und Weise, wie wir Wissenschaft nutzen, und öffneten das Tor, das später große Astronomen wie Tycho Brahe, Johannes Kepler und Galileo Galilei weit aufstießen.
IV.
Das Zeitalter der Moderne, dessen Anfang man an den Beginn des 15. Jahrhunderts setzen kann, unterscheidet sich von den vorhergehenden Zeiten durch rasante Fortschritte, der rapiden Zunahme des Wissens, einer systematischen Anwendung des erworbenen Wissens in der Technik sowie Forschung in Bereichen, die durch die Technik erschlossen oder interessant geworden sind. Die Folgen waren auch in der Politik und Kultur erheblich.
Nikolaus Kopernikus bewies den Mut und die gedankliche Flexibilität, sich von der reinen Spekulation und Deduktion von Aussagen abzuwenden und auf die Wichtigkeit der Beobachtung hinzuweisen. In seinen Forschungen war er fern jeglicher Zwänge, löste sich von der gängigen wissenschaftlichen Meinung und kirchlicher Übermacht. In diesem Sinne sollen auch die Wissenschaftler auf dem Schiff die Möglichkeit haben, losgelöst von ihrem sonstigen Umfeld, auf offener See ihre Gedankengänge in neue Bahnen zu lenken, neue Möglichkeiten zu erörtern und gemeinsame Ziele zu formulieren.
V.
Im Jahr 1532 lag Nikolaus Kopernikus` Hauptwerk ”De revolutionibus orbium coelestium" in Manuskriptform vor. Auf Drängen seiner Freunde wurde es in seinem Todesjahr 1543 veröffentlicht.
Es fasst seine Ergebnisse aus fast dreißig Jahren wissenschaftlicher Arbeit zusammen. Seine Kernthese, dass die Sonne, und nicht die Erde das Zentrum des Universums ist, wurde lange Zeit vor allem von der Kirche heftig angegriffen.
Kopernikus` Schüler George Joachim Rheticus erfuhr in seinen Bemühungen, das Werk seines Lehrers zu veröffentlichen, ausgerechnet von Martin Luther Widerstand, der Kopernikus für einen ”astrologischen Emporkömmling”, einen ”Narren, der die gesamte Wissenschaft der Astronomie umzukehren versuche”, hielt.
Die Revolution in der Astronomie, die von Kopernikus initiiert worden war, brachte nicht nur eine Veränderung von allgemein gültigen Grundsätzen, sondern im weiteren Verlauf eine vollständig neue Betrachtungsweise der Natur mit sich.
Nikolaus Kopernikus wollte die astronomische Wissenschaft korrigieren. Er erkannte die Macht der Wahrheit und wies den Glauben an das Gegebene, Selbstverständliche von sich, der von allen jenen angenommen worden war, die nicht bereit waren, sich mit dem Thema wirklich auseinander zu setzen.
Erst die großen Physiker und Astronomen des 17. Jahrhunderts (Kepler, Galilei, Newton) bestätigten Kopernikus.
Die Geophysik verdankt Kopernikus die Kenntnis der täglichen Erdrotation und des jährlichen Umlaufs der Erde um die Sonne. Am Anfang des Werkes bespricht Kopernikus die Kugelgestalt der aus Land- und Wassermassen zusammengesetzten Erde. Dabei erwähnt er China und Amerika als neuere Entdeckungen.
Nikolaus Kopernikus hatte die Kühnheit besessen, Aristoteles den Rücken zu kehren, weil er erkannte, dass die logische Beweisführung allein nicht zur Vermehrung des Wissens beiträgt.
VI.
Der Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe setzte dem bedeutenden Wissenschaftler in seiner ”Farbenlehre” ein Denkmal. Darin heißt es:
”Doch unter allen Entdeckungen und Überzeugungen möchte nichts eine größere Wirkung auf den menschlichen Geist hervorgebracht haben als die Lehre des Kopernikus. Kaum war die Welt als rund anerkannt und in sich selbst abgeschlossen, so sollte sie auf das ungeheure Vorrecht Verzicht tun, der Mittelpunkt des Weltalls zu sein. Vielleicht ist noch nie eine größere Forderung an die Menschheit geschehen; denn was ging nicht alles durch diese Anerkennung in Dunst und Rauch auf, ein zweites Paradies, eine Welt der Unschuld, Dichtkunst und Frömmigkeit, das Zeugnis der Sinne, die Überzeugung eines poetisch-religiösen Glaubens; kein Wunder, dass man dies alles nicht wollte fahren lassen, dass man sich auf alle Weise einer solchen Lehre entgegensetzte, die denjenigen, der sie annahm, zu einer bisher unbekannten, ja ungeahnten Denkfreiheit und Großheit der Gesinnung berechtigte und aufforderte.”
VII.
Durch den Namen Nikolaus Kopernikus erhält das "Schiff für die Jugend der Welt" sein besonderes, unverwechselbares, didaktisch-pädagogisches und wissenschaftsrelevantes Profil, wie es der Projektbeschreibung zu entnehmen ist:
Von dem Astronomen Nikolaus Kopernikus wird man auf der ganzen Welt wissen, sein Name ist unauslöschlich mit seinen revolutionären naturwissenschaftlichen Erkenntnissen verbunden, zukünftig nun auch mit einem Schiff, dessen hochqualifizierte Besatzung sich einer neuen, längst überfälligen Aufgabe stellt und damit Maßstäbe setzen wird.
Sein Name wird zum Programm für interdisziplinäres, interkulturelles, internationales, intergeneratives und interaktives Denken und Handeln; zudem für Kooperation und weltweite Vernetzung auf der Basis von Werten und Normen, die der Humanität und dem Schutz unseres blauen Planeten verpflichtet sind.
Der Aufbruch zu neuen Ufern birgt die Möglichkeit neuer Erkenntnisse in sich — sinnbildlich gesehen soll uns das Nikolaus-Kopernikus-Schiff diese Möglichkeit eröffnen und uns an neuen Ufern den Anker werfen lassen und zum Verweilen konkreten Anlass geben.
Hamburg, im Sommer 2003

Angaben zur Person:

Silke Straatman, M.A. (Jg. 1958); Studium der Pädagogik, Ethnologie, Musikwissenschaften und Religionsgeschichte an der Pädagogischen Hochschule in Kiel und an der Philipps-Universität Marburg / Lahn; zweijähriges Voluntariat am Museum für Völkerkunde Hamburg; seit 1993 hauptamtliche Museumspädagogin am Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg.

Anschrift:

Silke Straatman, M.A.
Ostpreußisches Landesmuseum Lüneburg
Leiterin der Abteilung:
Museumspädagogik / Öffentlichkeitsarbeit
Ritterstraße 10
D - 21335 Lüneburg
Telefon: ++49 - (0)4131 - 75 995 - 20
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